Frankfurter Rundschau, Kulturspiegel, 9. April 1997

von Dorothee Baer Bogenschütz

zu der Ausstellung "Malerei aus Osnabrück - 4 Positionen", Frauenkulturhaus Frankfurt, 1997

Bittersüße Urlaubsgrüße aus Nirgendwo

Vier Künstlerinnen aus Osnabrück stellen im Frankfurter Frauenkulturhaus aus

 

Rote Pferde, aber nicht Franz Marc, ein Cowboy als Mann in spe, aber keine Gitte, Sterne ohne Horst und Etüden zwischen Figuration und Abstraktion aus den Garküchen der Nachkriegskunst, jedoch ohne Schumacher und dessen Kollegen im selben Vereinstrikot.

Die Malerei aus Osnabrück, die gegenwärtig im Frankfurter Frauenkulturhaus zu sehen ist - Beitrag zu einem Austauschprojekt mit dem Titel "Netzwerk Kunst", das im nächsten Jahr eine Gruppe von Frankfurter Künstlerinnen nach Osnabrück führen wird, kann vier verschiedenen Positionen zugeordnet werden. Insofern ist die Ankündigung des Kulturhauses korrekt. Um "neue Malerei" jedoch handelt es sich bei den Werken der vier Frauen kaum. Betrachtenswert sind sie dennoch.

 

Die Note eins für einen originellen Beitrag zur Ornamentdebatte gebührt Sabine Kürzel. Ihre touristischen Schau- ins- Land- Fotgrafien - nicht eigene Aufnahmen finden Verwendung, sondern Fotopostkarten aus den sechziger und siebziger Jahren - bettet sie in Fonds aus den Musterbüchern für Salontapeten und PVC- Tischdecken. "Zwei junge Fischer mit ihren Netzen in einem Boot vor der Insel Stromboli" fügen sich vorzüglich ins blaugrüne Karomuster, dass die Stuttgarterin der italienischen Idylle als Hintergrund anheftet. Fehlt nur noch ein Teller Spaghetti und ein Viertel Chianti. Hauptsächlich sind es spielende Kinder - ein Junge im Cowboydress in Iowa, eine reitende Viererbande auf einer Südtiroler Alm und eine Kleine am französischen Flussufer -, die Sabine Kürzel mit ihrer raffinierten Hinterlegungstechnik groß herausbringt.

Im Stoffdruckverfahren appliziert sie ihre Bildmotive. Im Zentrum der zuvor spannungslosen Gemälde mit bloßem geometrischem oder floralem Rapport öffnet sich ein Fenster zur Welt. Ein im Grunde wenig revolutionäres Geschehen, dessen Ereignis scheinbar an der Kitschgrenze entlangschlingert, jedoch bemerkenswert wird durch das kritische Potential der hier visualisierten Überlegungen zum Phänomen des Massentourismus, zur heilen Heidi- Welt und dem Klischeebild der glücklichen Kindheit.

So wie die Fotografien die Ferien beschreiben, mögen sie sogar einmal gewesen sein.Längst aber haben All- inclusive- Angebote und der standardisierte Charme des Event- Urlaubs die kleinen Freuden auf der Weide und im Heuschober weitgehend verdrängt, und deshalb sind es letzten Endes bittersüße Urlaubsgrüße aus Nirgendwo.

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Frankfurter Rundschau, Kulturspiegel, 21. 12. 1999

von Dorothee baer- bogenschütz

zu der Ausstellung „Harmony House“, Galerie KunstWerk Frankfurt, 1999

Kitsch auf Karo

Die Kunst, das banale Konsumgut umweglos ästhetisch aufzuwerten oder täuschend echt nachzubilden und womöglich mit irritierend veränderter Stofflichkeit zu versehen, betrieb die Pop Art mit großem Erfolg. Andy Warhol produzierte gefälschte Suppendosen, Jasper Johns lieferte Flaggen und Zielscheiben in Enkaustik-Technik, die Wachs-Pigment-Mischung zur feinen Distanzierung vom Vorbild nutzend. Dem Spiel mit der Illusion setzten er und andere mit sanften Verfremdungen Grenzen. Um Wahrnehmungen zu untergraben, war es subversiv genug, Kaufhausware zum Gegenstand des Kunsthandwerks zu erklären. Erst der künstlerisch ausgewiesen Referenzraum zwischen den unterschiedlichen Realitäten sicherte dem aus dem Konsumzusammenhang gelösten Ding seine besondere Ausstrahlung. Von den Lehrmeistern dieser Ära hat Sabine Kürzel, der Erbengeneration zugehörig, gelernt. Sie malt minimalistische Meisterwerke wie frisch aus dem Wäscheschrank: Geschirrtücher nämlich.

Ihre pingeligen Nachbildungen karierter Küchenhilfen – in Acryl auf Nessel – zieht die 1964 in Stuttgart geborene Künstlerin auf MDF-Platten auf und erhärtet somit die Vermutung, dass sie der Anschauung dienen statt dem Tellertrocknen. Der Tafelbildcharakter ist das Ziel. Bei genauerem Hinsehen in der Ausstellung in der Galerie KunstWerk fällt auf, dass Webkanten und Säume fehlen. Das Dargestellte ist also gar nicht so vertraut, wie es im ersten Moment scheint, sonedrn Ergebnis einer dialektischen Abstraktion.
Neben der Geschirrtuch-Serie sind Beispiele aus dem früher begonnenen Zyklus „Harmony House“ zu sehen, bei dem Sabine Kürzel die Karomuster-Rapporte von Heimtextilien als Hintergrund für nostalgische Postkartenmotive nutzt.

Für ihren Zyklus hat Sabine Kürzel auf populäre Bildpostkarten zurückgegriffen, die aus der Zeit stammen, als Teenager von Peter (Kraus) und Conny (Froboess) träumten und neuer Schwung in die Frisuren kam. Die fein geföhnte Bodensee-Blondine bei der Apfelernte ist für Kürzel ebenso ein Beleg für trügerische Korrektur der (touristischen) Wirklichkeit seitens der Souvenirindustrie wie die idyllischen Szenen mit Heideschäfer oder Südtiroler Senner.
„Irgendwann habe ich mein Interesse für trivialisierte Postkartenmotive und ihre emotionsfördernde Wirkung entdeckt“, erklärt die Malerin ihren Appetit auf jene Heile-Welt-Häppchen. Indem sie jedoch die auf den Kartengrüßen stereotyp behauptete Harmonie buchstäblich „konterkariert“, schafft sie schelmisch Distanz zum Klischee.

 

 


Frankfurter Rundschau, 16.12.1999

von peter rutkowsky

zu der Ausstellung „Harmony House“, Galerie KunstWerk, Frankfurt 1999

Plastiktischdecken umrahmen die Spießer-Idylle
Wer erinnert sich nicht an Mutters karierte Plastiktischdecken, Tapeten mit Blümchenmuster und Geschirrtücher mit aufgedruckten Karos? In der Ausstellung „Harmony House“ kann man ihrer noch ein letztes Mal vor der Jahreswende gedenken. Die Malerin Sabine Kürzel hat in der Galerie KunstWerk die Versatzstücke bundesrepublikanischer Wirtschaftswunderjahre in Kunst verwandelt, witzig und anspruchsvoll.

Ideale der Saubermannnation
Fotopostkarten von Familien- und Urlaubsglück. Abgebildet sind die Traumziele deutscher Pantoffelhelden: Eine Südtiroler Alm ist zu sehen, Berchtesgaden und Konstanz am Bodensee. Ebenso die importierten Ideale aus der Saubermannnation USA: ein kleiner Cowboy aus Iowa und eine sechsköpfige Familie aus Philadelphia – alles weit entfernt von den Umwälzungen des Jahres 1968, Studentenunruhen und Vietnamkrieg, oder gar großdeutschen Weltherrschaftsfantasien von vor 1945.


Die Tischdeckenrahmen sind farblich auf die Fotos abgestimmt, bilden so eine künstlerische Einheit aus Druck und Malerei, Rahmen und Bild, Muster und Szene. Damit aber nicht Die Plastiktischdecken sind gemalte Rahmen für auf Stoffstruktur reproduzierte genug. Kürzel platziert beispielsweise das Bild eines kleinen Jungen, der in eine Keksdose greift (die steht natürlich auf einer glänzenden Plastiktischdecke), so in die Balkenstruktur des Rahmens, dass man sich an Kruzifix und Ikone erinnert fühlt – aber erst beim zweiten Hinsehen. Die Farben von Rahmen und Bild vermitteln zuerst ein wohliges Gefühl von Harmonie – „Harmony House“ eben.


Die geometrische Strenge der Muster lenkt den Blick dann auf das Foto, stellt es heraus oder bindet es fast bis zur Unkenntlichkeit des Motivs in das Muster ein. Ein weiterer Blick auf das grellbunte Gesamtensemble der Tischdeckenbilder – und plötzlich ist gar nichts mehr so harmonisch: Geradezu gruselig wird es vor lauter spießiger Idylle.
„Trügerisch“ nennt Kunsthistoriker Martin Damus Kürzels Bilder. Harmonie und Idylle sind genauso real wie ihre ironische Dekonstruktion. Diese „Trugbilder“ schrecken ab, ziehen aber auch gleichzeitig an. Ihre Oberflächlichkeit und die ihnen innewohnende Kritik bilden eine ganz andere, zuerst ungeahnte Harmonie. Kürzel vollführt einen gewagten Drahtseilakt von Kunst und Ironie – und das mit Bravour.


Gleichermaßen ironisch kommen die „Geschirrtücher“ daher. Die Künstlerin hat deren Geometrie (rot- und blaukariert) exakt auf dicken Brettern reproduziert. Von Ferne glaubt man, das Original vor sich zu haben. Es ist allerdings eine gereinigte Erinnerung, denn in Mutters Küche lehnten die Tücher niemals starr an einer Wand, waren nie so sauber, wie hier als Bilder. Die Ironie liegt in der materiellen Komponente. Die Oberfläche sagt dem Betrachter: „Geschirrtuch“ – zum Greifen nah. Was aber wirklich gegriffen werden kann, ist doch „nur“ ein Holzbrett.

Tour de mémoire
Sabine Kürzel ist mit „Harmony House“ eine vielschichtig unterhaltsame „tour de mémoire“ gelungen, gleichsam kraftvoll und leichtfüßig.